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Musikunterricht in besonderen Zeiten

Musik überbrückt Distanzen und trägt uns virtuell weiter

 

Über den Musikunterricht in besonderen Zeiten – listen = silent

„Stille ist die Grundlage der Musik. Wir finden sie vor, nach, in, unter und hinter der Musik.“ (Alfred Brendel)

Leider mussten wir unseren Schülerinnen und Schülern im vergangenen Jahr etwas zu viel der Stille zumuten. Wie vermissen wir das Trällern eines Liedes auf dem  Flur, die Tonleitern der Blasinstrumente im Übungszimmer, das Stimmen des Orchesters im Musiksaal und den aktuellen Hit der Schulband im Probenraum!

Musik ist untrennbar mit dem Menschsein verbunden und unverzichtbarer Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Schon als ungeborenes Wesen nehmen wir den Rhythmus des Herzens der Mutter wahr, wir erlernen das Sprechen, weil wir singen können, und die schönsten Momente im Leben verbinden wir ganz persönlich mit einem bestimmten Lied. Den Demenzkranken, die unter einer Taucherglocke langsam entschwinden, bleibt oft als einziger Zugang zu unserer Welt das Singen ihrer Kinderlieder und auf dem letzten Weg geleitet uns der Choral „In paradisum deducant te angeli“ (Zum Paradies mögen Engel dich geleiten).

Die Morgenkröte

Wenn Bildungsforscher wie Prof. Dr. Olaf Kötter in Interviews („Welt“ vom 03.01.21 und www.zdf.de vom 30.01.21) fordern: „Die Kompetenzen in Deutsch und Mathematik sind prägend und zentral für die berufliche Karriere. Und dann muss man in dieser besonderen Zeit auch mal die Kröte schlucken, dass man auf Fächer wie Musik, Religion […] verzichtet.“, stelle ich mir als Musikerzieher nicht die Frage, OB Musikunterricht stattfindet, sondern WIE? Und diese Kröte bin ich auch nicht bereit zu schlucken!

Gänzlich unvorbereitet ereilte uns im März 2020 der erste Lockdown. Die Stille über Zwiesel hatte etwas Unwirkliches und dennoch schafften wir es, mit einfachen digitalen Mitteln etwas Musik in die Herzen der Kinder, manchmal sogar in die Herzen der ganzen Familie zu transportieren („Das ist mein Stuhl“).

Nach einem Sommer der Freiheit freuten wir uns alle auf das neue Schuljahr. Hygienekonzepte wurden ausgearbeitet und auch auf mögliche Quarantäneregelungen und sogar Schulschließungen waren wir gut vorbereitet. Dennoch erwischte uns die Entwicklung im Herbst/Winter mit voller Wucht. Wieder mussten wir auf das gemeinsame Singen, die Chorarbeit und die Ensemblearbeit verzichten. Sogar das traditionelle Weihnachtskonzert wurde ein Opfer der Pandemie.

Der homo musicus

Wie schafft man es aber dennoch, ein gemeinsames Erlebnis herzustellen? Wie findet man den so wichtigen sozialen Kit im Chorgesang? Wie können wir ein wenig Licht in die trübe Advents- und Weihnachtszeit transportieren? Ganz einfach, mit der Technologie des 21. Jahrhunderts. Mussten die frühen Menschen vor 40000 Jahren noch Löcher in einen Gänsegeierknochen bohren, um dann mit dieser „Knochenflöte“ die Herzen der Mitmenschen zu erfreuen, haben wir heute die Möglichkeit von unterschiedlichen Orten, aus großer sozialer Distanz heraus einen „virtual choir“ zu formen.

Der Weg zum fertigen Ergebnis, dem „White Winter Hymnal“ war aber wohl genauso steinig, wie die Bemühungen unserer Vorfahren.

Der homo digitalis

Zunächst brauchten die Sängerinnen und Sänger die Noten. Kein Problem, das Versenden einer PDF klappte reibungslos! Dazu eine Aufnahme und eine Playbackversion, die hilft, die eigene Stimme, also Sopran, Alt, Tenor oder Bass, leichter zu finden. Auch das Versenden dieser mp3-Datei stellte kein Hindernis dar, das Erstellen der Playbacks erinnerte mich aber dann schon sehr an das Bohren der Löcher in die Knochen. Nach längerer Übephase sollten nun die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe ihres Smartphones (wie gut, dass jeder eins hat!) ihre Stimme aufnehmen und an mich schicken. Dabei tauchten aber schon die ersten Hürden auf:

Die gewünschte Datei nach dem Muster Nachname. Vorname. Stimmlage.mp4 hieß weit über ein Dutzend Mal schlicht „video.mp4“. Nun, auch die Jugend scheint noch nicht in allen Winkelzügen der digitalen Umwelt absolut sattelfest. Diese anfänglichen Schwierigkeiten liegen aber wohl längst weit hinter uns.

Sodann wurde jede Tonspur von mir bearbeitet. Das Rauschen entfernt, der Klang mit dem Equalizer angepasst, ein wenig „Raumhall“ auf die Spur gelegt, die Lautstärke vereinheitlicht und gelegentlich die Tonhöhe etwas korrigiert. Auch die Videospur musste bearbeitet werden. Das Hochformat der Handyaufnahme wurde zum Quadrat beschnitten, die Farben angepasst, das Bildrauschen der Aufnahmen mit schlechtem Licht herausgerechnet und alles auf ein etwa gleiches „Colorgrading“ gebürstet.

Der aufwändigste Schritt jedoch brachte sowohl meinen PC, als auch meine Schnittfähigkeiten am privat abonnierten Schnittprogramm an die absoluten Grenzen. Nach etwa 30 Stunden Arbeit stellte sich zwar eine gewisse Freude über die drei Minuten Chorgesang ein, doch wurde und wird die Freude dadurch getrübt, dass man durch diesen Workflow rechtlich nicht zu hundert Prozent abgesichert ist.

phantasia, non homo

Wir Musikerzieher in Bayern werden hier leider uns selbst überlassen. Dabei wäre es aus der Praxis heraus nur wünschenswert, einen rechtlich sauberen und eindeutigen Rahmen zu haben, der es uns erlaubt, in diesen schwierigen Zeiten die Musik am Leben zu erhalten. Dazu braucht es etwas Mut und etwas weniger Bedenken. Fassen wir uns doch an die eigenen Nasen: Was geben wir alltäglich und ganz selbstverständlich durch unser Verhalten preis? Gleichzeitig sollen wir als Beamte mit Feder und Tusche arbeiten?

Nehmen wir uns Ludwig van Beethoven zum Vorbild. Trotz widrigster Umstände kämpfte er sich durch das Leben und hinterließ uns diese großartige Musik, die er nur mit viel Mut und Willensstärke komponieren konnte. Hören wir die „Ode an die Freude“ aus seiner 9. Sinfonie! Sobald diese Musik erklingt, kann man nur der festen Überzeugung sein, ja, wir Menschen sind alle Brüder!

Bleiben Sie gesund, auf dass der Stille bald wieder die Musik folgt!

silent = listen

(Stefan Urlbauer)

Schulorchester und Instrumentalunterricht digital

Der widrigen Umstände für praktisches Musizieren und Gesang zum Trotz zeigten die Instrumentalschüler des Gymnasiums Zwiesel bemerkenswerte Eigeninitiative. Obwohl die Online-Unterrichtstage bisweilen viel Durchhaltevermögen von den Schülern abverlangten, waren 7 Geigen- und 2 Celloschüler der Unter- und Mittelstufe dazu bereit, zusätzlich zum Pflichtunterricht eine weitere freiwillige Unterrichtsstunde online auf dem Instrument zu besuchen. Einige hatten im Vorlauf lediglich erste Gehversuche auf dem Instrument unternommen oder starteten letztlich völlig neu. In Einzelstunden wurden die Stimmen für eine gemeinsame Produktion einstudiert und so der Grundstein zum Beitrag beim „digitalen Weihnachtskonzert“ gelegt. Dabei musste auf Grund der hohen Latenzen die Unterrichtsweise auf „Vor- und Nachmachen“ beschränkt werden.  Die Lust am Musizieren und die Aussicht auf baldiges gemeinsames Musizieren in Präsenz ließen dennoch die technischen Fertigkeiten am Instrument stetig gedeihen. Durch Playbacks zur häuslichen Vorbereitung und umfangreichen technischen Anleitungen konnten sich die Schüler der 5-7 Klassen selbst im Home-Studio aufnehmen. Diese Einzelbeiträge wurden schließlich zu einem Abschlussvideo zusammengeschnitten. Ein Projekt, das die Freude am gemeinsamen Musizieren zeigt und Schüler, die Mut zu neuen musikalischen Herausforderungen machen!

(Armin Weinfurter)