Quantenphysik in der Anwendung beim 45. Edgar-Lüscher-Seminar
Physik ist immer dann besonders spannend, wenn es entweder um besonders große oder besonders kleine Dinge geht. Plötzlich verhält sich alles gänzlich anders, als wir es aus unserer Alltagserfahrung heraus vermuten und erwarten. Am vergangenen Wochenende wandte man sich beim 45. Edgar-Lüscher-Seminar am Gymnasium Zwiesel den besonders kleinen Systemen zu. „Quantenphysik in der Anwendung“ war der Titel der vom Ministerialbeauftragen für Gymnasien in Niederbayern gemeinsam mit der TU München veranstalteten Lehrerfortbildung. In neun interessanten Vorträgen brachten Spitzenwissenschaftler renommierter Institutionen den rund 70 Teilnehmern die komplexe Quantenwelt näher. Sie zeigten, wie sich Quantenphänomene technisch, wie z. B. beim heiß diskutierten Quantencomputer, nutzen lassen und wie hier der aktuelle Stand der Forschung ist.
Schülervortrag mit erstaunlichen Phänomenen
Den Auftakt zum dreitägigen Seminar bildete bereits ein Vortrag für Schülerinnen und Schüler am Freitagvormittag. Dr. Silke Stähler-Schöpf, Leiterin des PhotonLab am Max-Planck-Institut für Quantenoptik, und Dr. Andreas Kratzer, Leiter des TUM Science Lab, boten den Schülern der Q11 eine Betrachtung der Quantentheorie aus philosophischer, historischer und natürlich physikalischer Sicht. Dabei führten sie den Schülern eine Vielzahl von grundlegenden physikalischen Experimenten vor. So wurde kurzerhand eine Essiggurke zur Lampe umfunktioniert und das davon emittierte Linienspektrum gemessen. Ein Effekt, der sich nur quantenmechanisch erklären lässt. Der Einladung zum Vortrag folgten auch Schüler aus Grafenau, Waldkirchen und Landau.
Von leistungsstarken Rechnern und unterkühlten Chips
Für die Lehrerinnen und Lehrer begann das Wochenende am Freitagnachmittag mit dem Einführungsvortrag von Prof. Dr. Klaus Mainzer, Präsident der Europäischen Akademie der Wissenschaft und Künste. Er gab einen Einblick in die grundlegenden Prinzipien der Quantenwelt und die zugehörige Mathematik. Dabei erläuterte Prof. Mainzer, wie sich damit, bei entsprechender technischer Umsetzung, Verfahren und Algorithmen realisieren lassen, die zu weitaus leistungsstärkeren Rechnern, als klassischen Computern führen.
Eine erste Möglichkeit der Umsetzung präsentierte Dr. Franz Haslbeck vom Walther Meißner Institut. Er beschäftigt sich dort mit supraleitenden Quantenbits. In seinem Vortrag gab er eine Einführung in supraleitende Schaltkreise, deren Fabrikation und Kontrolle durch Mikrowellenpulse. Diese Art des Quantencomputers dürfte aus Fotos in den Medien wohl die bekannteste sein. Dr. Haslbeck erklärte, dass die plakativen Fotografien dabei in erster Linie die Kühleinheit zeigen. Der Quantencomputerchip selbst ist nur 1 cm² groß, muss aber aufwändig auf unter -273 °C gekühlt werden. Einen solchen Chip konnten die Anwesenden im Anschluss an den Vortrag auch aus der Nähe in Augenschein nehmen.
Von entschlüsselnden Quanten und geheimnisvollen Diamanten
Am Samstagmorgen begann das Seminar mit dem Vortrag von Dr. Lukas Knips vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Er referierte über Quantenkryptografie und photonische Quantentechnologien. Dabei erläuterte der Wissenschaftler dem Publikum, dass aktuelle Verschlüsselungsmethoden wie RSA durch Quantencomputer in kurzer Zeit entschlüsselt werden könnten und damit in Zukunft nicht mehr sicher sein werden. Daraus resultiert die Notwendigkeit,neue, sichere Kommunikationswege zu finden. Dr. Knips erklärte, wie sich mittels Quantenschlüsselaustausch ein abhörsicherer Kanal ergibt und welche Entfernungen damit bereits überbrückt werden können. Kommunikationssicherheit wird also durch Quantentechnologien bedroht und durch andere Quantentechnologien wieder sichergestellt.
Prof. Dr. Martin Brandt vom Walter Schottky Institut berichtete anschließend von einer weiteren technischen Anwendung von Quantenphänomenen. In seinem Vortrag widmete er sich der Quantensensorik. Er erläuterte, wie mithilfe von Diamanten Magnetfelder gemessen werden können. Grundlage sind dabei Farbzentren, wie sie in gelblichen Diamanten zu finden sind. Prof. Brandt ging darauf ein, dass diese als Schmuckstück eher wertlosen Diamanten hochinteressant für moderne Quantentechnologien sind. Er zeigte z. B., wie sich mit diesen Sensoren selbst kleinste Magnetfelder in magnetotaktischen Bakterien aufspüren lassen.
Von ultrakalten Atomen und Quantenalgorithmen
Den Vortragsreigen setzte am Nachmittag Prof. Dr. Monika Aidelsburger von der LMU München fort. Sie berichtete den Lehrerinnen und Lehrern, wie sie und ihre Forschungsgruppe Quantensimulationen mit ultrakalten Atomen durchführen. Bei Quantensimulationen werden unter Laborbedingungen nicht zugängliche Quantensysteme durch andere, kontrollierbare Quantensysteme nachgeahmt und so untersucht. Diese Idee geht auf den berühmten Physiker Richard Feynman zurück. Ziel der Entwicklung ist es z. B. Teilchenphysik, wie sie momentan nur in großen Beschleunigern wie dem LHC am CERN möglich ist, im Laserlabor betreiben zu können.
Der Samstag wurde mit dem Vortrag von Prof. Dr. Christian Mendl von der TUM beschlossen. Er gab zunächst einen Einblick in aktuelle Quantenalogrithmen. Anschließend erläuterte er den Zuhörern, wie sich Tensornetzwerke zur Simulation von Quantensystemen auf klassischen Rechnern einsetzen lassen.
Von spukhafter Fernwirkung und Laserlaboren im Koffer
Dr. Johanna Jochum vom FRM II in Garching eröffnete den letzten Fortbildungstag. Sie berichtete den Teilnehmern von der Untersuchung von Quantenphänomenen mithilfe von Neutronen. Sie erläuterte, warum sich Neutronenstreuung besonders gut für die Untersuchung von Quantenphänomenen eignet und illustrierte dies an ausgewählten Experimenten.
Den Schlusspunkt setzte Prof. Dr. Alexander Holleitner vom Walter Schottky Institut. Er widmete sich in seinem Vortrag besonders der Quantenverschränkung. Vereinfacht versteht man darunter, dass die Messung des Zustands eines Teilchens sofort den Zustand des damit verschränkten Teilchens festlegt, egal wie weit dieses entfernt ist. Dieses Phänomen ist nicht mit der klassischen Sicht der Physik vereinbar, so dass es selbst Einstein als „spukhafte Fernwirkung“ ablehnte. Prof. Holleitner konnte seine Zuhörer mit einem Demonstrationsexperiment besonders begeistern, mit dem man eben diese Quantenverschränkung nachweisen kann. Mithilfe eines kompletten Laserlabors – allerdings in Aktenkoffergröße – konnte er zeigen, dass auch in der Aula des Gymnasiums die Bellsche Ungleichung verletzt wird und somit auch dort die Gesetze der Quantenmechanik gelten.
Dank und Ausblick auf das 46. Edgar-Lüscher-Seminar
Die regen Diskussions- und Fragerunden nach den Vorträgen zeigten die Faszination und Begeisterung der anwesenden Physiklehrkräfte für die Veranstaltungen. Deshalb wurde zum Ende des Seminars bereits das Thema für das 46. Edgar-Lüscher-Seminar 2024 festgelegt. Dann soll sich alles um „Nanotechnologien und Zukunftsmaterialien“ drehen.
Bei der Verabschiedung der Fortbildungsteilnehmer und Referenten bedankte sich Schulleiter Dr. Wolfgang Holzer bei allen, die zum Gelingen der Traditionsveranstaltung beigetragen haben. Allen voran galt sein Dank den beiden wissenschaftlichen Leitern des Seminars, Prof. Dr. Winfried Petry und Prof. Dr. Peter Müller-Buschbaum von der TU München, denen es wieder gelungen ist, eine Reihe von Sprechern aus der Spitzenforschung zu gewinnen und so eine einmalige Fortbildungsveranstaltung zu ermöglichen. Das große Engagement für das Seminar zeige, wie sehr ihnen die Lehrerbildung am Herzen liegt. Ebenso ging sein Dank an die Referenten, die sich bereit erklärt haben, an das Gymnasium zu kommen und Einblicke in ihre Arbeit zu gewähren. Weiter bedankte sich Holzer beim Fachreferenten für Physik, StD Dominik Palme, der als Stellvertreter der Dienststelle des Ministerialbeauftragten bei der Veranstaltung anwesend war. Ein besonderer Dank ging an das Organisationsteam vor Ort um Stephan Loibl, Claus Starke und Margot Weber, die für einen reibungslosen Ablauf sorgten. Schließlich richtete der Schulleiter noch ein herzliches Dankeschön an die Zwiesel Kristallglas AG, die es durch ihre großzügige Spende wieder ermöglichte, alle Dozenten mit einem besonderen Glaspräsent aus Zwiesel zu verabschieden.
(Stephan Loibl)