Das 44. Edgar-Lüscher-Seminar am Gymnasium Zwiesel informierte über das Thema „Physik in der Archäologie und Kunstgeschichte“.

Würden Archäologie und Kunstgeschichte ohne die Physik „alt“ aussehen?

Dieser spannenden Frage ging man beim diesjährigen Edgar-Lüscher-Seminar am Gymnasium Zwiesel nach, zu dem der Ministerialbeauftrage Peter Brendel eingeladen hatte. Dazu konnten die wissenschaftlichen Leiter des Seminars Prof. Dr. Peter Müller-Buschbaum und Prof. Dr. Winfried Petry von der TU München renommierte Referenten gewinnen, die zum Thema „Physik in der Archäologie und Kunstgeschichte“ faszinierende Einblicke in die aktuelle Forschungsarbeit präsentierten. Vor Ort zeigte sich das Organisationsteam um Schulleiter Dr. Wolfgang Holzer als routinierter Gastgeber dieser traditionsreichen Lehrerfortbildung.

Von Moorleichen und Kulturgütern

„Forschungsprojekte sind meist fächerverbindend“, sagte Dr. Andreas Kratzer im Einführungsvortrag, der vor allem an naturwissenschaftlich interessierte Schülerinnen und Schüler gerichtet war. Als akademischer Oberrat an der TUM School of Education erklärte Dr. Kratzer, welche Rolle Naturwissenschaften beim Erhalt von Kunst- und Kulturgütern spielen. Weiter stellte er spannende Schülerprojekte aus Facharbeiten vor und verriet zum Beispiel wie eine Schülergruppe daran beteiligt war, herauszufinden, wie aus einer südamerikanischen Prinzessin fälschlicherweise eine Dachauer Moorleiche werden konnte.

Von den Höhlen von Lascaux zu Gustav Courbet

Im ersten Fachvortrag führte Prof. Dr. Ina Reiche von der Pariser chemischen Hochschule Chimie ParisTech in nicht-invasive Bildgebungs- und Analyseverfahren bei der Untersuchung historischer und prähistorischer Malereien ein. Sie stellte dabei unterschiedliche Verfahren vor, mit denen es z. B. möglich ist, die chemische Zusammensetzung von Pigmenten herauszufinden oder Übermalungen wieder sichtbar zu machen. So konnte eine Forschergruppe um Prof. Reiche mittels Röntgenspektroskopie in einem Selbstportrait von Gustave Courbet seine verflossene Liebe wieder sichtbar machen. Nach der Trennung ließ sie der Maler auf dem gemeinsamen Bild verschwinden, zurück blieb nur der namensgebende „verwundete Mann“. Weiter berichtete die Wissenschaftlerin, dass die modernen Apparaturen mittlerweile sehr handlich gebaut werden können. Dadurch werden Untersuchungen vor Ort möglich. Anschaulich wurden die Möglichkeiten, die sich eröffnen, durch den Bericht der Professorin von Analysen der weltberühmten prähistorischen Malereien in den Höhlen von Lascaux und Rouffignac.

Von antiken Handelswegen zu Vincent van Gogh

Im Anschlussvortrag erfuhren die Zuhörer über die Möglichkeiten der Herkunftsbestimmung archäologischer Funde mittels Neutronenaktivierung. Dr. Christian Stieghorst von der TU München erklärte, dass dabei Proben mit Neutronen beschossen werden, dabei werden die Atomkerne angeregt und geben charakteristische Gamma-Strahlung ab. So lässt sich sehr genau die chemische Zusammensetzung der Probe bestimmen. Dieses Verfahren wurde von Dr. Stieghorst u. a.  auf römische Amphoren angewandt. So konnte man sie Abbauorten zuordnen und  antike Handelsweg nachvollziehen.

Der erste Vortrag am Samstagvormittag musste pandemiebedingt via Zoomzuschaltung des Referenten erfolgen. Prof. Dr. Matthias Alfeld von der TU Delft referierte virtuell über die Kunst- und Kulturanalyse mittels Synchrotronstrahlung. Eines seiner berühmtestes Forschungsobjekte dürfte dabei das Gemälde „Schlafzimmer in Arles“ von Vincent van Gogh gewesen sein. Mittels Röntgenspektroskopie konnte er zeigen, dass das Werk durch den Einfluss von UV-Licht heute farblich anders erscheint, als es der Meister 1888 schuf.

Von archäologischen Stätten zu Buddhastatuen

Weitere interessante Informationen zur Kulturgutforschung liefern Untersuchungen mittels Neutronen. Dr. Eberhard Lehmann vom Paul-Scherr Institut in Villingen/Schweiz ging in seinem Vortrag zunächst auf das Prinzip und die technische Realisierung der Bildgebung mit Neutronen ein. Anhand von Studien an Objekten aus dem nationalen und internationalen Fundus zeigte Lehmann, welche Erkenntnisse man damit gewinnen kann. Besonders pikant war dabei der Bericht über eine enttarnte Fake-Röntgen-Aufnahme einer Buddhastatue im Katalog des Auktionshauses Sotheby’s.

Statt mit einzelnen Fundstücken beschäftigt sich der Geophysiker Prof. Dr. Till Sonnemann mit der Erforschung ganzer archäologischer Stätten. Er erläuterte den Einsatz der LiDAR-Technologie. Dabei wird das Untersuchungsgebiet überflogen und mit einem LASER-Strahl gescannt. Somit erhält man hochpräzise topografische Daten, die in Verbindung mit anderen Nah- und Fernerkundungsmethoden neue archäologische Erkenntnisse bringen.

Von der Himmelscheibe von Nebra zum Goldfund von Bernstorf

Der zweite Fortbildungstag endete mit dem Vortrag von Prof. Dr. Rupert Gebhard. Der Direktor der bayerischen archäologischen Staatssammlung referierte über die Grenzen naturwissenschaftlicher Methoden am Beispiel der Himmelsscheibe von Nebra. Prof. Gebhards Ausführungen entwickelten sich immer mehr zu einem Wissenschaftskrimi, der das Publikum in seinen Bann zog. Er zeichnete eindrücklich die Kontroverse um die Himmelsscheibe und ihre Begleitfunde nach. An den Vortrag schloss sich ein spannender wissenschaftlicher Disput an, der nochmals zeigte, wie sehr die Thematik polarisiert.

Den dritten Fortbildungstag eröffnete Prof. Dr. Fritz Wagner von der TU München. Er beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Textur polykristalliner Metalle. Der Physiker erläuterte, wie sie durch Bragg-Beugung von Röntgenstrahlen oder thermischen Neutronen bestimmt wird. Er erklärte, dass unterschiedliche Bearbeitungsverfahren bestimmte Texturen zur Folge haben. Prof. Wagner zeigte dabei auf, wie die Texturmessung so Aufschluss über die Art und Weise der Herstellung geben kann. Besonders beleuchtete er mögliche Arbeitstechniken, die bei den Artefakten des Goldfundes von Bernstorf Anwendung gefunden haben könnten.

Von C 14-Methoden zur Quantenphysik

Den Schlusspunkt der dreitägigen Fortbildung setzte Dr. Susanne Lindauer vom Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie. Die Wissenschaftlerin erläuterte Möglichkeiten der Datierung von Fundgegenständen mittels Kohlenstoff. Sie erklärte, wie das natürlich vorkommende radioaktive Kohlenstoffisotop C-14 zur Altersbestimmung organischen Materials herangezogen werden kann. Die Obergrenze für das Verfahren liegt dabei bei 50 000 Jahren. Durch den Einfluss von Atombombentests auf die C-14-Konzentration in der Atmosphäre lassen sich Proben aus dem Jahr 1963 sogar exakt datieren, so Lindauer.

An den letzten Vortrag schloss sich noch die Themenfindung für das 45. Edgar-Lüscher-Seminar im Frühjahr 2023 an. Schnell einigte man sich auf das spannende Thema „Quantenphysik in der Anwendung“, zu dem die Professoren Müller-Buschbaum und Petry sicher wieder hochkarätige Sprecher anwerben können.

Zum Abschluss der Veranstaltung bedankte sich Schulleiter Dr. Wolfgang Holzer bei allen Referenten und der wissenschaftlichen Leitung für die spannenden Einblicke in die aktuelle Forschung. Weiter dankte er StR Stephan Loibl, OStR Claus Starke und Sekretärin Margot Weber, die sich tatkräftig um die Organisation vor Ort kümmerten.

(Stephan Loibl)