Erlebnispädagogische Exkursion der 10. Klassen ins tschechische Kvilda

Nach mehr als zwei Jahren pandemiebedingter Einschränkungen durften 14 Schülerinnen und Schüler aus den 10. Klassen des Gymnasiums Zwiesel am 4. und 5. Mai 2022 zwei ganz besondere Tage im benachbarten Böhmerwald erleben. Die Organisation Post Bellum lud die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten zu einem außergewöhnlichen erlebnispädagogischen Projekt ein.

Das Anliegen dieses von der Europäischen Union und EUREGIO e.V. geförderten Projektes ist es, „…den heutigen Schülern die Situation in der ethnisch gemischten Grenzregion der Tschechoslowakei vor und nach dem Zweiten Weltkrieg näher zu bringen. Anhand von Geschichten aus der jüngeren Vergangenheit soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, was es bedeutet, sich mit dem Vorwurf einer Kollektivschuld auseinanderzusetzen, welche Härten Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, ob Tschechen 1938 oder Deutsche 1945, erleiden mussten. …“.

Gemeinsame Zeitreise

Im böhmischen Kvilda (vormals Außergefield) trafen die Zwieseler Gymnasiasten auf eine Klasse des englisch-tschechischen Gymnasiums Budweis. Nach dem gemeinsamen Mittagessen wurden sich die tschechischen und bayerischen Schülerinnen und Schüler in zwei Workshops schnell vertraut. In verschiedenen Rollenspielen bekamen sie die Möglichkeit, die Zeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Sicht der tschechischen und deutschen Bevölkerungsgruppe und nochmals aus der besonderen Situation der jüdischen Bevölkerung zu erspüren. Die Motivation und Begeisterung der Moderatoren sprang schnell auf die Schülerinnen und Schüler über. Mit Freude und großer Ernsthaftigkeit haben sich die Schülerinnen und Schüler Sicht- und Denkweisen und verbreitete Vorurteile dieser Zeit erarbeitet, die den Weg für die tragische Entwicklung hin zum Zweiten Weltkrieg mit den Folgen von Tod und Vertreibung bereitet haben. Am Abend durften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Kulturzentrum von Kvilda ein berührendes Filmdokument mit Interviews mit Zeitzeugen, die als Deutsche nach dem zweiten Weltkrieg aus dem Staatsgebiet der Tschechoslowakei vertrieben wurden, erleben.

Wanderung durch die Vergangenheit

Am zweiten Tag des gelungenen Projektes stand ein fast 20 Kilometer langer Fußmarsch zur bayerisch-böhmischen Grenze auf dem Programm. Der promovierte Historiker Dr. Mikuláš Zvánovec hat eine hochspannende Route über die geschleiften Dörfer Fürstenhut (Knížecí  Pláně), Buchwald (Bučina), Hüttl (Chaloupky) und Mühlreuterhäuser zusammengestellt und so hochinteressante Erläuterungen gegeben. Sehr nachdenklich wurden die Teilnehmer im Anblick von Narzissen als Zeugen von Gärten der verschwundenen Hofstellen, von immer noch zugänglichen Kellergewölben und eines verlassenen Schreinereibetriebes direkt am Grenzbach. Nur die begleitenden Lehrkräfte kannten die Grenzanlagen aus der Zeit des Eisernen Vorhangs noch aus eigener Anschauung. Eine historisch nicht ganz korrekte, gleichwohl erschütternde Gedenkstätte mit einer Nachbildung der Grenzbefestigung und eines ehemaligen Wachturms beim Hotelgasthof Alpská vyhlídka in Bučina erinnert heute an die tragische Trennung der Menschen hüben und drüben für fast 40 Jahre.

Gemeinsam Brücken bauen

In den beiden Projekttagen wurde die Erinnerung an die Ursachen und Folgen von Flucht und Vertreibung lebendig gehalten. Gleichzeitig wurde eine Brücke geschlagen zu ganz aktuellen Fluchtbewegungen. Als sehr wertvoll empfanden sowohl die Schüler als auch die begleitenden Lehrkräfte die Begegnung mit der tschechischen Partnerklasse aus Budweis. Die Verständigung war problemlos, da die Budweiser Schülerinnen und Schüler sehr gut Deutsch sprachen und andererseits bei der Zwieseler Gruppe auch vier Gastschülerinnen und Gastschüler aus dem EUREGIO-Programm teilnahmen, die für einige Monate das Gymnasium Zwiesel besuchen.

Die begleitenden Lehrkräfte Ingrid Weber und Dr. Wolfgang Holzer richteten einen herzlichen Dank an die Organisation Post Bellum mit ihrem Leiter Tomáš Trantina , an die Ackermanngemeinde Regensburg, vertreten durch Veronika Veličková und im Besonderen an die Betreuerinnen und Betreuer der Workshops, des Filmabends und der geführten Wanderung und drückten ihre Hoffnung aus, dass das Projekt eine Fortsetzung findet.

(Dr. Wolfgang Holzer)