46. Edgar-Lüscher-Seminar am Gymnasium Zwiesel beleuchtet Zukunftsmaterialien und Nanotechnologien

Lotuseffektbeschichtungen ersparen uns das Schrubben der Waschbecken im Bad, Nanopartikel aus Titandioxid schützen uns in Sonnencremes vor UV-Strahlung und Smartphone-Displays werden durch Nanobeschichtungen immer kratzfester. Das sind nur drei Anwendungen von sogenannten Nanotechnologien, die bereits Einzug in unseren Alltag gefunden haben. Im Rahmen des 46. Edgar-Lüscher-Seminars gaben Wissenschaftler aus der Spitzenforschung am vergangenen Wochenende einen Einblick in aktuelle Entwicklungen und Forschungsgegenstände im Bereich der Nanotechnologien und Zukunftsmaterialien.

Unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Thomas Hofmann, Präsident der TU München, lud der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in Niederbayern, Ltd. OStD Peter Brendel, nun schon zum 46. Mal Physik- und Chemielehrkräfte aus ganz Bayern an das Gymnasium Zwiesel zur Fortbildung ein. Die wissenschaftliche Leitung des Seminars lag wieder in bewährter Hand bei Prof. Dr. Winfried Petry und Prof. Dr. Peter Müller-Buschbaum von der TU München.

Von Lotus und Kohlrabi

Den Auftakt der Veranstaltung bildete bereits ein Schülervortrag am Freitagvormittag. Dr. Silke-Stähler-Schöpf, Leiterin des Photon Lab am Max-Planck-Institut für Quantenoptik, und Dr. Andreas Kratzer von der TUM School of Education gaben gut hundert Schülern der 11. Jahrgangsstufe aus den Gymnasien Zwiesel, Grafenau und Landau einen Einblick in die Materialwissenschaften. Sie erklärten zunächst, dass man erst ab einer Größenordnung unterhalb von 100 Nanometern – also einem Tausendstel der Dicke eines Haares – wirklich von Nanotechnologie spricht. Es folgte eine Vielzahl von Beispielen. Der Lotuseffekt – experimentell demonstriert an Kohlrabiblättern – wurde näher unter die Lupe genommen. Weiter wurden Nanomaterialien mit magnetischen Eigenschaften betrachtet. Die Schüler erfuhren, dass diese Partikel z. B. in der Behandlung von Tumoren durch gezielte Überhitzung des Tumorgewebes eingesetzt werden. Den Schlusspunkt setzten besondere Supraleiter, die bereits bei verhältnismäßig hohen Temperaturen ihren elektrischen Widerstand verlieren. Diese Temperaturen sind zwar immer noch sehr kalt, sodass Dr. Kratzer und Dr. Stähler-Schöpf für den Demonstrationsversuch kurzerhand zu flüssigem Stickstoff griffen.

Von Medikamenten in der DNA-Box

Am Nachmittag folgten die ersten Vorträge der Lehrerfortbildung. Elisabeth Eber von der LMU München gab eine Einführung in DNA-Origami. DNA ist vermutlich jedem ein Begriff als Trägerin von Erbgut. Beim DNA-Origami verwendet man die Strukturen aus Basenpaaren allerdings nicht, um Information zu kodieren, sondern als programmierbaren Baustoff. Eber erläuterte den Zuhörern, wie DNA-Stränge als Gerüst erzeugt, gefaltet und mit weiterer DNA ummantelt werden. Als mögliche Anwendung in Zukunft zeigte sie, wie sich Medikamente in einer Box aus DNA exakt zum Einsatzort im Körper transportieren und dort freisetzen lassen könnten.

Vom Tanz der Gase

Im zweiten Freitagsvortrag zeigte Prof. Dr. Marc Willinger von der TUM NAT School, wie er und seine Forschergruppe dynamische Prozesse chemischer Reaktionen, die auf der Oberfläche reaktionsbeschleunigender Stoffe – sogenannter Katalysatoren – ablaufen, sichtbar machen. Er verblüffte sein Publikum mit einer Reihe von Videos, die mit Rasterelektronen- und Transmissionselektronenmikroskopen aufgenommen wurden. Dabei konnte man das Wechselspiel der reaktiven Gase und der Katalysatoroberfläche wunderbar beobachten. Weiter erläuterte er, wie die neuen Beobachtungsmöglichkeiten die Katalyseforschung voranbringen können.

Von der Welt der Mikrostrukturen

Den Vortragsreigen am Samstag eröffnete Dr. Michael Hofmann vom FRM II an der TUM mit seinen Ausführungen über Hochleistungslegierungen und deren Untersuchung mittels Neutronenstreuung. Anhand von nickelbasierten Superlegierungen zeigte er auf, welche Einflüsse Mikrostrukturen auf die Materialeigenschaften im Makrobereich haben. Er erläuterte, wie mittels Neutronenstreuversuchen diese Mikrostrukturen untersucht werden können und Materialien damit weiterentwickelt und verbessert werden.

Prof. Dr. Jonathan Finley vom Walter-Schottky-Institut knüpfte an das Thema des Vorjahres – Quantenphysik – an und schlug den Bogen zu den Nanotechnologien. Prof. Finley zeigte, wie man mittels Quantenpunkten, das sind Halbleiternanostrukturen, auf Knopfdruck Einzelphotonen erzeugen kann. Im zweiten Schritt wurden Detektoren vorgestellt, die wiederum Einzelphotonen detektieren können.

Von Solarzellen und topologischen Materialien

Neue effizientere Solarzellen standen im Fokus der Ausführungen von Dr. Claudiu Mortan. Eine Stunde Sonnenlicht bringt genug Energie auf die Erde, um diese ein Jahr mit Strom zu versorgen. Diese Information stellte Dr. Mortan seinem Vortrag voran. Das Nutzbarmachen ist somit die Herausforderung. Siliziumbasierte Solarzellen sind mittlerweile nahezu an der Effizienzgrenze. Mortan forscht deshalb an der Entwicklung von Zellen, die auf Perowskit basieren. Dieses Material verspricht hohe Energieausbeute und ermöglicht u. a. den Bau von flexiblen Solarzellen direkt aus dem 3D-Drucker, berichtete er den Seminarteilnehmern.

Der Samstag wurde von Prof. Dr. Christian Pfleiderer beschlossen. Er ist wissenschaftlicher Direktor des FRM II an der TU München. Prof. Pfleiderer referierte über topologische Materialien. Er erläuterte, wie mithilfe des mathematischen Konzepts der Topologie Bandstrukturen von Materialien untersucht und so ungewöhnliche magnetische und elektrische Eigenschaften vorausgesagt bzw. begründet werden können.

Von der Kraft des Holzes bis zum Graphen der Superlative

Der letzte Seminartag wurde von Prof. Dr. Stephan Roth eröffnet. Prof. Roth forscht am DESY Hamburg an nachhaltigen Materialien. Besonders interessant für Zuhörer aus einer waldreichen Region waren seine Ausführungen über die aus Holz gewonnene Zellulose-Nanofibrillen. Diese Fibrillen sind 10.000-mal dünner als ein Haar und bezogen auf ihr Gewicht die stärksten Biofasern der Welt. Roth berichtete, dass sich die Fasern eignen, um Plastik in Verpackungen zu ersetzen oder Kompositwerkstoffe zu verstärken. Besonders spannend ist, dass sich die Fasern auch als Grundstoff für Solarzellen eignen. Der nachwachsende Rohstoff Holz könnte so zum Ausgangsprodukt zur Erzeugung regenerativen Solarstroms werden.

Prof. Dr. Paul Seifert von der Universität der Bundeswehr München beschäftigte sich im letzten Vortrag mit einem besonderen Material: Graphen. Es besteht aus Kohlenstoffatomen und ist zweidimensional, das heißt, es besteht nur aus Oberfläche. Graphen ist das dünnste Material, extrem leicht, der beste Wärmeleiter, einer der besten elektrischen Leiter und härter als Diamant. Seifert resümierte: Graphen ist ein Material der Superlative.

Von der Bedeutsamkeit moderner Wissenschaft

Nach diesem Schlussvortrag bedankten sich die wissenschaftlichen Leiter des Seminars, Prof. Müller-Buschbaum und Prof. Petry, bei allen Sprechern und dem Organisationsteam vor Ort. Stephan Loibl bedankte sich schließlich stellvertretend für das Gymnasium bei den beiden Professoren. Besonders stellte er heraus, mit welcher Mühe die beiden dafür sorgen, dass jedes Jahr aufs Neue Spitzenwissenschaftler nach Zwiesel kommen und dort interessierten Lehrern, aber auch der Öffentlichkeit einen Einblick in den Status quo der Forschung geben. Er betonte den besonderen Wert der Veranstaltung, die bayernweit einzigartig ist. Lehrer können nur lebendig unterrichten, wenn sie auch inhaltlich am Puls der Zeit bleiben. Als Dankeschön überreichte Loibl den beiden, wie auch allen anderen Sprechern, Glaspräsente gesponsert von Zwiesel Glas.

Als letzter Punkt des Programms stand die Festlegung des Themas für das 47. Edgar-Lüscher-Seminar im kommenden Jahr an. Die Seminarteilnehmer legten sich mit den beiden Leitern schnell auf „Neues aus der Astrophysik, von James Webb bis Gravitationswellen“ fest. Es ist also gesichert, dass auch nächstes Jahr vom 04. bis 06. April spannende physikalische Themen am Gymnasium Zwiesel diskutiert werden.

(Stephan Loibl)